Pisa © Roland Salz 2000 - 2015
Roland Salz                                                                      
                                                                      Meditationen über Architektur

XI. Gang durch die übrigen Zimmer (Teil 1: Treppen, Flure und Gästezimmer)

 

Wir wollen nun einen Gang durch die übrigen Zimmer unternehmen und uns dabei einen Überblick über den gesamten Innenraum des Hauses verschaffen. Von der nordwestlichen Ecke des großen Wohnraums, nördlich des dem Kamin vorgelagerten Felsausläufers und westlich des Eßtisches, gelangen wir durch eine Tür - die einzige Zimmertür im Par- terre - in die Küche, die, wie wir gesehen haben, das unterste Stock- werk des dreistöckigen West-"Turms" bildet. Drei Seiten seines in allen Stockwerken gleichen Grundrisses sind ummauert, die Südseite da- gegen wird von einer ununterbrochen über alle drei Stockwerke hochlaufenden Fensterfront begrenzt, die im Grundriß einen Versprung aufweist. Dieses Fensterband, das in seinem vertikalen Verlauf eine Abwandlung der sonst sämtlich horizontalen Fensterbänder der Ge- schosse des Hauptkörpers des Hauses bildet, läßt sich wiederum fast vollständig öffnen: durch eine jeweils die gesamte Raumhöhe einneh- mende, aber sehr schmale Tür rechts (von innen gesehen) und durch ununterbrochen die gesamte Fassade hochlaufende Reihen von Klapp- fenstern, jeweils zwei nebeneinander, und zwar rechtwinklig zueinander stehend über die durch den Absatz gebildete Ecke. Diese gesamte Eckkante läßt sich also von oben bis unten über drei Stockwerke hinweg öffnen, d.h. regelrecht auflösen. Die Strukturierung dieser Fensterfront ist durch die schmalen, hohen Türen auf der einen Seite vertikal, im gesamten übrigen Bereich aber horizontal, durch Sprossen, die in immer denselben Abständen zueinander verlaufen (sechs pro Stockwerk).

          Der zentrale Felsbrocken, dessen Oberseite wir im Wohnzimmer wiedergefunden haben, zeigt sich auch in der Küche noch, und zwar rechts neben dem Herd. Hier dient sie als Fensterbank, die sich hinter der Scheibe nach draußen fortsetzt und nahtlos in die umgebende Natur übergeht.

          Gehen wir wieder ins Wohnzimmer zurück und rechts um den Eßtisch herum, so erreichen wir auf dessen anderer Seite die schmale Steintreppe, die nach oben zu den Schlafräumen führt. Nehmen wir an, wir hätten einmal das Glück gehabt, zu den vielen Gästen der Familie Kaufmann zu gehören, die sich im Laufe der Jahre in diesem Haus einfanden - darunter so illustre Namen wie Walter Gropius oder Albert Einstein -, so hätten wir diesen Weg beschritten, wenn es darum gegangen wäre, uns vor dem Essen die Hände zu waschen, oder aber, um unseren Koffer ins Gästezimmer hinaufzutragen (sofern wir von unseren Gastgebern nicht genötigt worden wären, diese Arbeit einem der Bediensteten zu überlassen, der wahrscheinlich auch unseren Wagen unter dem Balkengitter vor dem Eingang des Hauses in Empfang genommen und den Berg hinauf in eine der Garagen gebracht hätte).

          Erstaunlicherweise, denn im Parterre hatte die Treppe, die hinter dem Vestibül in östliche Richtung nach oben führt, am äußerst nörd- lichen Rand des umbauten Raumes gelegen, öffnet sich der kleine Flur des ersten Stocks an ihrem oberen Ende sowohl nach Süden als auch nach Norden. Er bildet eine Weiche und zugleich einen Absatz, von dem aus es etwas später jeweils nochmal um zwei Stufen weiter nach oben in die zwei separaten Schlafbereiche geht, denjenigen der Gastgeber und denjenigen der Gäste.

          Nach einer U-förmigen Kurve rechts um die Treppe (und eine in der Wand verankerte, mehrfach geschichtete Regalkonstruktion aus Glasplatten, die von rotgestrichenen Stahlrahmen gefaßt sind und deren Art wir schon vom westlichen Fenster des Hauptraumes im Parterre her kennen) herum gelangen wir über die zwei zusätzlichen Stufen in den Gästebereich, mit einem kleinen separaten, fensterlosen Bad geradeaus (nach Westen) und linkerhand (nach Süden) dem eigentlichen Gästeschlafzimmer. Dieses öffnet sich auf der gegenüber- liegenden Schmalseite mit einer Glasfront (nach Süden). Vor ihr liegt das Balkengitter, das die östliche Seite des vorderen Wohnzimmer- teiles überdeckt. Daher gibt es vom Gästezimmer keine Tür nach draußen. Dennoch ist auch dem Gästebereich eine eigene Terrasse zugeordnet. Es handelt sich dabei um die bereits erwähnte östliche Flügelterrasse. Zu ihr gelangt man durch eine Tür vom Treppenabsatz aus, gegenüber vom Zugang zum Gästebereich. Die Terrasse wird vom Flur aus allerdings nicht direkt erreicht, sondern über einen kleineren, über der Eingangsloggia gelegenen Terrassenabsatz, von dem aus sich der Blick nach Osten hin öffnet, über das nördliche Balkengitter hinweg den Zufahrtsweg hinunter, während er nach Norden (zum Weg) von einer Mauer begrenzt ist. Nach Süden gelangt man von diesem Terrassenabsatz entweder über zwei Stufen nach oben auf die östlich vom Gästezimmer gelegene Gästeterrasse, die im Norden ebenfalls durch eine Mauer aus Sandsteinplatten begrenzt ist, oder aber über eine Treppe hinunter zur Ostterrasse des Wohnzimmers.

          Wir wenden uns nun von der in den ersten Stock hinaufführenden Innentreppe nach links (Norden). Durch eine wiederum U-förmige Wendung um die die Treppe links begrenzende Sandsteinplattenwand herum gelangen wir in einen Gang, der wiederum freischwebend angelegt ist, diesmal in die entgegengesetzte Richtung, nicht über den Bach geneigt, sondern über den Zufahrtsweg. Nach Norden und Osten öffnen sich die Wände dieses nördlichen Flurstückes in Fensterfronten, die oberhalb des Balkengitters den Blick auf den Weg freigeben und den gegenüberliegenden Felsvorsprung. Nach zwei Stufen geht es in drei verschiedene Richtungen weiter. Nach rechts öffnet sich ein Gang, der innerhalb einer geschlossenen Betonbrücke quer über den Zufahrtsweg verläuft. Er verbindet das Haupthaus von Fallingwater mit dem nachträglich (1939, also nur wenige Jahre später) erbauten zusätzlichen Gästehaus, das oberhalb des nördlichen Felsvorsprunges gelegen ist. Hier befinden sich auch die Garagen und eine Wohnung für die Bediensteten. Geradeaus führt eine weitere schmale Steintreppe in den zweiten Stock (den Bereich von Edgar Kaufman jr.), und nach links versetzt, parallel zu dieser Treppe, erstreckt sich ein schmaler, langer Verbindungsgang, der zum Schlaftrakt des Ehepaars Kaufmann führt.

          Wenn sich diese Beschreibung der zentralen Verbindungstrep- pen und -flure aber insgesamt wie ein enges und dunkles Labyrinth von Gängen anhört, so sehen wir uns darin getäuscht: durch geschickte Wandöffnungen und Durchblicke wird ein Raum geschaffen, der alle Zonen, von denen die Rede war, optisch miteinander verbindet. So ist etwa der kleine, zum Gästezimmer führende Flurteil mit seinen zwei Stufen gar nicht von der Haupttreppe optisch abgeteilt, sondern über das besagte stählerne Regalgestell verbunden. Und auch wird der obere, zu den Zonen der Kaufmanns führende Flur von der Haupt- treppe nur durch eine einen Viertelkreis beschreibende Brüstung ge- trennt, nicht von einer Wand. So ist es möglich, vom Kopfende der Haupttreppe aus, einem Punkt also, den alle Bewohner der oberen Stockwerke des Haupthauses und des Gästehauses passieren, die Zugangsbereiche aller vier Zonen ein Stück weit einzusehen: unten sieht man bereits den Eßtisch, links den kleinen Gästeflur und über die Brüstung hinweg geradeaus den Flur der Kaufmanns und rechts die Treppe in den zweiten Stock.

 

 

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