Pisa © Roland Salz 2000 - 2015
Roland Salz                                                                      
                                                                      Meditationen über Architektur

VIII. Der Wohnraum (Teil 1: Gesamtanlage)

 

Die Eingangstür des Hauses öffnet sich in ein schmales Vestibül, das praktisch eine Verlängerung der Türnische der Loggia darstellt. Die linke, südöstliche Längsseite ist gegen den großen Wohnraum offen, zu dem man über zwei Stufen hinaufsteigt.

          Der große, universelle Wohn- und Eßraum des Parterre, den wir nun betreten haben, hat die Form eines großen Rechteckes, dem ledig- lich die beiden östlichen Ecken fehlen (die nordöstliche durch das gerade erwähnte Vestibül und die dahinterliegende Treppe zu den Schlafräumen im ersten Stock). Die Ausmaße des Raumes sind be- achtlich: 13 Meter mißt es in Ost-West-, 16 Meter in Nord-Süd-Rich- tung; seine Fläche dürfte damit bei etwa 190 m² liegen.

          Dieser große Raum ist allerdings so strukturiert, daß verschie- dene Bereiche entstehen, die unterschiedlichen Funktionen zugeord- net sind. Zuerst fällt auf, daß ein kleineres Rechteck, ziemlich in der Mitte des Gesamtraums gelegen, aber an dessen Südwestwand an- stoßend, gegenüber den übrigen Bereichen hervorgehoben ist, und zwar durch ein stufenweises Zurückweichen der Decke. Die auf diese Weise gebildete gestaffelte Deckenkassette ist auf zweitinnerster Stufe von einem Rahmen aus mit Nußbaum furniertem Holz eingefaßt, in dessen Zwischenräumen Leinwand gespannt ist. Hinter ihr befinden sich Lampen, die so ein indirektes, auch von der innersten Betondecke reflektiertes Licht in den Raum werfen. Dieses zentral im Gesamtraum gelegene Rechteck ist mit einem Atrium verglichen worden, ein Eindruck, zu dem sicherlich der Rahmen aus Holz-Leinwand-Blenden ("überstehende Dachkanten") und das indirekte Licht ("Himmelslicht") beitragen, der sich aber nur nach Einbruch der Dunkelheit einstellen dürfte, wenn kein Licht mehr von außen durch die riesigen Fenster- fronten in den Raum hineinfällt.

          Die Eck- und Auflagepunkte für das "Atrium" werden im Nordosten vom südlichen Endstück der Wand gebildet, die das Vestibül abteilt, im Nordwesten von einem Stück der Kaminwand, genauer: von der rechten Begrenzungsstütze des offenen Kamins; im Süden schließ- lich von zwei alleinstehenden Stützpfeilern aus rustikalen Sandstein- platten. Zwischen diesen beiden Stützen hindurch verlängert sich der Raum nach Südosten bis zu der Brüstung, die über dem Bach schwebt. Die beiden Stützen stehen genau auf den Endpunkten der beiden äußeren der vier parallelen Fundamente. Der gesamte Bereich des Wohnraums jenseits der beiden Stützen ist also freischwebend. Hinter den beiden Stützen öffnen sich nach links und rechts die beiden Terrassen, die durch Glasfronten vom freischwebenden Wohnteil abge- trennt sind.

          Insgesamt drei große Sitzgruppen sind um den Raum gruppiert: die größte von ihnen, die im Wesentlichen aus einer rein linearen, aber breiten und üppig gepolsterte Bank von sieben Metern Länge besteht, nimmt die gesamte südöstliche Front vor der in den Bach hinausra- genden Brüstung ein. Sie bildet das Kernstück des Raumbereiches südlich des Atriums. Eine zweite Sitzgruppe, mit einer ähnlichen, zum Raum hin ausgerichteten Bank als Zentrum, liegt auf der Westseite des Atriums, zwischen dem westlichen Freipfeiler und dem Kamin. Dieser Bereich ist ebenso wie derjenige hinter der ersten Sitzgruppe über Brüstungshöhe hinterfenstert, aber von seiner Lage her nicht mehr so exponiert. Gänzlich zurückgezogen in den ummauerten Bereich liegt die dritte und kleinste Sitzgruppe, die wiederum fast nur aus einer linearen Bank besteht, gestellt gegen die Mauer links vom Vestibül und - wenn auch in einiger Entfernung - direkt dem Kamin gegenüber gelegen. Diese ebenfalls reich gepolsterte Sitzbank liegt am äußeren Rand des östlich vom Atrium gelegenen Bereichs. Über ihn erfolgt der Zugang zum Wohnraum vom Vestibül aus, er beherbergt aber auf der gegenüberliegenden, südlichen Seite auch noch Bücherregale und einen Schreibtisch, eine kleine Studienecke also.

          Der queroblonge Bereich nördlich des Atriums bildet den Eßbereich. Hier steht in der Mitte ein kleiner, rechteckiger Eßtisch von der Nordwand in den Raum hinein, für eine intime Gruppe von maximal fünf Personen. Links liegt die Tür zur Küche, rechts führt unmittelbar die Treppe hinauf zu den Schlafräumen.

          Wir haben jetzt eine grobe Orientierung in dem Wohnraum gewonnen, vor deren Hintergrund wir uns einigen weiteren, durchaus originellen Strukturen zuwenden können. Wir erinnern uns, daß das äußere westliche der vier parallelen Fundamente des Hauses den zentral auf der Felsplatte gelegenen Felsbrocken einschließt; das Fundament - hier aus Sandsteinplatten - ist von Süden und von Norden an den Felsbrocken herangemauert, erreicht aber nicht ganz seine Höhe. Was aber ist mit dem über das Fundament hinausragenden Teil dieses Felsbrocken geschehen, auf dem, wie wir gesehen hatten und wie auch Frank Lloyd Wright wußte, Edgar Kaufmann sen. so gerne gesessen und ausgeruht hatte? Ganz einfach: der Felsbrocken ragt, sozusagen aus dem Fußboden kommend, in das Wohnzimmer hinein und bildet in seinem westlichen Teil den Herd für den offenen Kamin! Edgar J. Kaufmann konnte sich also wieder auf seinen Stein setzen, diesmal zusammen mit seiner Familie, um sich vor dem Kaminfeuer zu wärmen.

          Der offene Kamin befindet sich, wie wir gesehen haben, noch innerhalb des Atriumbereiches, aber an seiner nordwestlichen Ecke. Diagonal gegenüber, an der südöstlichen Atriumsecke, stoßen wir auf ein weiteres Kuriosum. Unmittelbar hinter dem östlichen Freipfeiler öffnet sich der Boden des hier freischwebenden Wohnzimmers und eine aufgehängte Treppe führt (in östliche Richtung) hinunter zum Bach. Die kleine Betonplatte am Fuße der Treppe steht - in vielleicht zwanzig Zentimetern Höhe - direkt über dem Wasser. Von hieraus führt kein Weg weiter. Man kann hier den Bach betrachten, akustisch oder manuell Fühlung mit ihm aufnehmen, aber sonst nichts. Nicht einmal zum Hinsetzen reicht der Platz. Dem Besucher ist klar: diese Treppe hat nur einen Zweck, nämlich den Bach ins Haus selbst zu holen, die Verbindung zwischen Wohnzimmer und Bach so innig wie möglich zu machen.

 

 

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