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 Roland Salz                                                                      
                                            Meditationen über Architektur und Landschaft

               Zen in der Kunst der Architekturbeschreibung

 

 

Dieser Aufbau des Vorstellungsganzen eines Bauwerks im Bewußt- sein des Rezipienten kann durch einen Beschreibungstext ganz ent- scheidend unterstützt werden. Die Architekturbeschreibung liefert nicht nur diejenigen Informationen, die das Bildmaterial prinzipiell nicht dar- bieten kann, wie etwa die ursprünglich formulierte Bauaufgabe und ihre Rahmenbedingungen, die Intentionen des Architekten oder die Bauge- schichte, sondern sie stellt als serialisierende und damit prozeßhafte Präsentationsform auch einen zweiten Weg zur Vergegenwärtigung des dreidimensionalen Ganzen eines Gebäudes dar und ist durch diese Fähigkeit eine ideale und auch notwendige Ergänzung zum Bild- und Zeichnungsmaterial. Wenn aber die Architekturbeschreibung als Dar- stellungsmittel für die großen historischen Gebäude traditionell (da früher fotographisches und zeichnerisches Material aufwendig, teuer und rar war) sehr ausgeprägt ist, so fehlt sie in Dokumentationen moderner Architektur oft nahezu völlig. Angesichts einer immer per- fekter werdenden Architekturfotographie und Reproduktionstechnik springt dieses Ungleichgewicht in den meisten Dokumentationen (wenn sie nicht gerade sehr umfangreich in Buchform vorliegen) heute eklatant ins Auge.

          Eine Architekturbeschreibung, die konsequent auf diese Funktion hin ausgerichtet ist, kann den Leser Schritt für Schritt zum Aufbau der dreidimensionalen Vorstellung eines – durchaus auch sehr komplexen – Bauwerks führen. Der Text kann den Baukörper zuerst in seinen Grundformen skizzieren und dann immer weiter detaillieren, wobei er im Gegensatz zum zweidimensionalen Abbild von vornherein mit drei- dimensionalen Begriffen arbeitet. Diesen Weg der schrittweisen Ver- feinerung eines räumlichen Vorstellungsganzen des Gebäudes, den die Architekturbeschreibung liefert, ausgehend etwa vom geographischen Umfeld und den Rahmenbedingungen des Grundstücks, weiter über die groben geometrischen Raumkörper bis hin zur Profilierung und Ausge- staltung der Fassaden, dann auch in das Innere des Gebäude hinein, kann der Leser ständig durch Hinzuziehen des graphischen und bildlichen Materials auf seine Richtigkeit hin überprüfen und visuell anschaulich machen. Im Idealfall erschließt sich dem Rezipienten an- hand des Textes das gesamte Bildmaterial der Dokumentation, und er sieht zuletzt die vielfältige Form des Bauwerks räumlich vor seinem inneren Auge.

          Der Text kann sogar noch eine dritte Funktion erfüllen. Über die apers- pektivisch gelieferten allgemeinen Informationen zum Bauwerk und den eher aus der Vogelperspektive vorgenommenen Aufbau des räumlichen Baukörpers hinaus ist er imstande, den Leser auch aus personaler Perspektive an das Gebäude heranzuführen, dieses sowohl von statischem als auch dynamischem Standpunkt her personal zu beschreiben. Einerseits können hiermit bewußt subjektive Eindrücke des Autors wiedergegeben werden, andererseits kann die Perspektive aber auch auf diejenigen andere Personen verlagert (also in gewisser Weise objektiviert) werden, die täglich in dem Bauwerk verkehren: kleine und kleinste erzählende Passagen lassen sich in den reinen Beschreibungstext einstreuen, um diesen aufzulockern und dem Leser auch einen Eindruck vom Leben in dem Gebäude zu eröffnen.

          Das Konzept der Plastischen Architekturbeschreibung entstand aus einem von uns oft persönlich empfundenen Mangel an geeigneter, die Rezeption eines Bauwerks bestmöglich unterstützender Architektur- dokumentation, und sie wurde genau auf dieses Ziel hin entwickelt. In der Art einer Meditation stellt sie das Gebäude als sinnlich erlebbares Objekt in den Mittelpunkt. Plastische Architekturbeschreibung ist streng rezeptionsorientiert aufgebaut, d.h. sie entwickelt ihre Darstellung im- mer mit Blick auf den Leser. Gezielt versucht sie, sein Bewußtsein von dem Bauwerk kontinuierlich zu vergrößern. Die Präsentation erfolgt gemäß einem genau überlegten Plan, der vom Einfachen zum Komplexen, von der Großform zum Detail, von der Fern- zur Nahsicht voranschreitet. So wird der Leser systematisch, in einer Abfolge von Schritten, deren jeden einzelnen er mit Hilfe der vorangegangenen nachvollziehen kann, an das Bauwerk herangeführt. Unsere Architek- turbeschreibung bietet gleichsam  eine „Bauanleitung“, die es dem Leser ermöglicht, sich die räumliche Gesamtvorstellung des Gebäudes Stück für Stück zu errichten. Diese klare Struktur der Beschreibung und ihre innere Dynamik schaffen für den Leser einen stabilen Bezugsrah- men, der eine Vielzahl von interessanten Einzelheiten aufnehmen und einordnen kann, ohne daß das große Ganze des Bauwerks je aus den Augen verloren wird. So zieht nicht eine bloße Summe von Details durch den Leser hindurch, sondern alles wird in einem vielfältigen Geflecht innerer Zusammenhänge verankert. Erfahrungsgemäß erzeugt eine solche, quasi modellhafte Vorstellung des Bauwerks im Leser Spannung und Erwartung, das Gebäude nun auch real besichtigen und erleben zu können. Er möchte das, was sich ihm aufgrund der gelesenen Beschreibung als skizzenhafter Eindruck der Imagination zeigt, in der Wirklichkeit überprüfen, korrigieren, vertiefen, mit den Farben der eigenen Wahrnehmung ausmalen.

          Eine seriöse architekturkritische oder kunsthistorische Bewertung eines Bauwerks kann erst auf der Basis eines gründlichen Studiums und einer umfassenden Vergegenwärtigung eben dieses Bauwerks vorge- nommen werden. Wir konzentrieren uns in unseren Architektur- beschreibungen weitgehend auf diesen notwendigen ersten Schritt, der unseres Erachtens allzu oft zu kurz kommt. Es ist unser Bestreben, mittels einer sachlichen und anschaulichen Darstellung ein möglichst großes Bewußtsein von dem objektiv Vorhandenen des Bauwerks im Leser zu erzeugen. Auf dieser Basis kann er dann selbst seine ästhetische Beurteilung vornehmen. Dessen ungeachtet sind wir der Auffassung, daß die größte, die meditative Erfüllung des Betrachtens, auch von Objekten der Kunst und Architektur, in eben diesem einfa- chen, anhaltenden Betrachten liegt, und nicht erst in der architektur- kritischen oder kunsthistorischen Bewertung. Lohnendstes Ziel ist das Eiswerden mit dem Objekt, wir erreichen es in einem Wahrnehmen, das das Denken fallenläßt.

 

 

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