II. Der räumliche Baukörper, Teil 1: Keller und südlicher Bauteil
Das Alte Rathaus hat einen rechteckigen Grundriß von beachtlichen Ausmassen: 41 Meter Länge mißt es in Nord-Süd-Richtung entlang des Marktplatzes und 21 Meter Tiefe von diesem aus nach Westen. Das Gebäude weist auf seiner gesamten Fläche ein hohes Kellergeschoß auf, das nach vorne, zum Marktplatz hin, von einer der Fassade vor- gelagerten offenen Rampe mit hoher steinerner Brüstung verdeckt ist. Noch knapp um Stehhöhe ragt das Kellergeschoß über das Niveau des Erdbodens hinaus. Der Zugang zum heute darin eingerichteten Rats- keller erfolgt vom Marktplatz aus durch zwei Türen in der Vorderseite der Rampe, zu denen nur ein paar Außenstufen herunterführen. Vom Absatz hinter den Türen aus gehen Treppen dann noch einmal um mehr als zwei Meter weiter hinunter in die Räumlichkeiten, deren Decke aus gleichmäßigen, rundbogigen Kreuzgewölben gestaltet ist. Nicht nur in der Vorderseite der Rampe weist das Kellergeschoß mit Segment- bögen überfangene Fensteröffnungen auf, sondern auch zur Süd- und zur Nordseite des Rathauses, während nach Westen (Rückseite) die Küchenräume liegen, mit eigenen kleinen Türen für die Anlieferung, in denen man schon einmal den Koch mit einer Zigarette stehen sieht.
Das unter den Fenstern des Erdgeschosses entlang- und um das gesamte Gebäude herumlaufende Kaffgesims, das im östlichen, dem Marktplatz zugewandten Teil des Gebäudes bereits auf einer Höhe von etwa fünf Metern über dem Erdboden liegt und dem sich auch die Ober- kante der Rampenbrüstung genau anpaßt, verspringt im rückwärtigen, nach Westen gelegenen Drittel des Rathauses noch einmal um einen knappen Meter nach oben. Dieser Bruch in der Gestaltung des Außenbaus ist nicht willkürlich: tatsächlich liegt das Erdgeschoß des hinteren, baugeschichtlich späteren Gebäudeteils entsprechend höher, und der Keller wird hier zum Teil zweigeschossig. Führt man sich die diversen Funktionen vor Augen, die der Keller des Rathauses in vergangenen Zeiten erfüllen mußte, so wird der Platzbedarf klar, der zu immer neuen Umbauten gerade in diesem Teil des Gebäudes führte: nicht nur war hier seit alters der städtische Weinkeller untergebracht, mit dem Privileg des stadtweit einzigen Ausschanks, sondern auch die Heizung des Ratssaals, das städtische Gefängnis und seit preußischer Zeit ein Polizeiposten, die sog. Scharwache.
Jeweils von Süden und von Norden führen, fast genau aus den Gebäudefluchten heraus, geradlinige, einläufige Treppen auf die lange, der Marktseite mittig vorgelegte Rampe. An ihren beiden Enden wie- derum öffnen spitzbogige Portale den größten und wichtigsten Raum des Alten Rathauses: den Großen Saal, oder einfach: die Halle ge- nannt.
Das hohe Erdgeschoß wird nach oben hin durch eine sich auf einheitlicher Höhe befindendliche Linie abgegrenzt, die in einem länge- ren, etwa 3/5 der Marktfassade einnehmenden nördlichen Gebäudeteil von einem Gurtgesims gebildet wird, im kürzeren südlichen Gebäude- teil dagegen bereits von der Trauflinie des Daches. Der Baukörper zerfällt nämlich in zwei verschiedenartige und ungleich große Teile: während der größere nördliche, vom Marktplatz her gesehen rechte Teil zweigeschossig ist, und zwar über die gesamte Gebäudetiefe, ist der kleinere, südliche, vom Marktplatz her gesehen auf der linken Seite gelegene Gebäudeteil nur eingeschossig. Dieser südliche Bauteil des Alten Rathauses ist der ältere, er wurde gegen 1270 begonnen.
Die erwähnte Trauflinie des südlichen Teils liegt ringsherum, d.h. auf der vorderen, östlichen, genauso wie auf der hinteren, westlichen Seite, auf gleicher Höhe. Gleiches gilt für das Gurtgesims des nördli- chen Bauteils. In Zusammenschau mit dem höheren Bodenniveau des Erdgeschosses auf der Westseite (verspringendes Kaffgesims) ergibt sich, daß die Geschoßhöhe hier geringer ist. Tatsächlich befinden sich im rückwärtigen Bereich des Erdgeschosses kleinere Räume, für die keine so große Geschoßhöhe benötigt wird wie für die große, reprä- sentative Halle auf der Eingangsseite.
Der eingeschossige südliche Bauteil wird von einer ungewöhn- lichen, reichlich komplizierten Konstruktion zweier hoher, quer zueinan- der stehender und sich verschneidender, mit roten Ziegeln gedeckter Satteldächer überfangen. Das erste und ältere dieser beiden Dächer zeigt dem Marktplatz, wie in der Bebauung des Platzes üblich, eine Traufseite, sein First verläuft also in Nord-Süd-Richtung. Dieses Dach überdeckt aber nicht den gesamten südlichen Bauteil, sondern nur ein sowohl in Länge wie Breite kleineres Rechteck, das man sich an die nordöstliche Ecke dieses südlichen Bauteiles stoßend vorstellen kann. Sowohl der südliche als auch der westliche Streifen über dem Grundriß des südlichen Bauteils wird von diesem Satteldach also nicht über- fangen. Dieses Phänomen ist baugeschichtlich erklärbar. Der hintere, westliche Teil von etwa 2/5 der heutigen Gebäudetiefe ist nachträglich angebaut worden, genauso wie der südliche Streifen, noch heute im Mauerwerk der Schauseite deutlich erkennbar. Zwischen den Räumen auf der Ostseite des Rathauses (im wesentlichen der großen Halle) und denen auf der Westseite befindet sich eine Mauer mit der Stärke der Außenmauern, d.h. von mehr als einem Meter Dicke. Beim Anbau nach Westen, der hier im Südteil etwa um 1400 ausgeführt wurde, hat man das bestehende Satteldach des südlichen Bauteils beibehalten und ihm ein dazu querstehendes Satteldach im Westen angefügt. Der First dieses neuen Satteldach liegt etwas höher als der des alten und führt von einem großen Dreiecksgiebel im Westen (in der Flucht der neuen Außenmauern) bis genau zur Firstlinie des alten Satteldaches, über die er, vom Marktplatz her gesehen, also leicht herausragt und ein kleines Giebeldreieck stellt.
Das angebaute zweite Satteldach des südlichen Gebäudeteils ist vom Firstende an seinem Westgiebel aus gesehen bis zur Südwand des Rathauses heruntergezogen, wobei das untere Drittel, ab der Flucht des Südgiebels des alten Satteldaches, etwas abflacht. Um schließlich auch den neuen südöstlichen Grundrißstreifen zu über- decken, ist es im unteren, abgeflachten Teil nach Osten hin verlängert, so daß es vor dem Südgiebel des alten Satteldaches als Pultdach ent- langläuft, bis es sich an der südöstlichen Gebäudeecke mit der Trauf- seite des alten Satteldaches in einer walmartigen Kante verschneidet.
Erstaunlicherweise liegt die Firstlinie des neuen, rückwärtigen Satteldaches aber nicht mittig über dem westlichen Teil des südlichen Baukörpers, sondern etwas nach Süden versetzt. Das führt dazu, daß in seiner Nordwestecke immer noch ein Stück des südlichen Gebäu- deteiles unbedeckt verbleibt, und zwar das, welches weder von dem alten, noch von dem neuen Satteldach abgedeckt wird. Warum das? Man muß mehrere Male um das Rathaus herumgehen, es abwech- selnd von vorn und von hinten betrachten, bis man bemerkt, daß auf der Rückseite des Gebäudes das Obergeschoß des nördlichen Ge- bäudeteils, auf den wir noch zu sprechen kommen, etwas in den süd- lichen Bauteil hinein verlängert ist, und zwar genau um die Fläche, die von den beiden Satteldächern des südlichen Gebäudeteils nicht abge- deckt wird. Erst vom Turm der Johanniskirche aus läßt sich dann fest- stellen, daß der kleine Anbau des nördlichen Obergeschosses im süd- lichen Gebäudeteil von einem fast flachen Dachstück überfangen wird und auf die angrenzenden Trauflinien der beiden Satteldächer mit zwei fast senkrechten, ebenfalls mit Dachziegeln behängten Wandflächen trifft.
Der südliche Dachbereich macht insgesamt einen zwar interes- santen, aber zusammengeschusterten Eindruck, auf der Rückseite einen nur notdürftig improvisierten. Von Häßlichkeit muß man in Bezug auf den riesigen, durchgehend beige verputzten Westgiebel des neu- en Satteldachs sprechen, dessen einziger Schmuck aus im Verhältnis zu ihm viel zu kleinen Fenstern besteht und der sich überhaupt nicht in den sonstigen Fassadenstil des Alten Rathauses einfügen will.
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