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Roland Salz                                                                      
                                                                      Meditationen über Architektur

VI. Das Innere der Laube und das Südportal

Das Innere der Laube weist eine bemerkenswerte Deckenkonstruktion auf, die eine Entsprechung in der Kapelle am Kreuzgang des Magdeburger Doms hat. Eine waagrechte Schicht aus ebenen, unver- putzten Steinplatten wird von einer Anzahl von Spandrillen aus rotem Sandstein getragen, die, auf Konsolen in den Laubenwänden gestützt, so angeordnet sind, daß aus ihren Bogenästen Gurtbögen und Kreuzrippensysteme entstehen, die eine Illusion von Kreuzrippenge- wölben über Deckenjochen schaffen. Entsprechend den Arkadenbö- gen der Laube werden auf diese Weise drei Joche je unterschiedlicher Länge gebildet: ein breites, rundbogiges im Süden und zwei schmale- re (aber nicht gleich weite), spitzbogige im Norden. Die Flächen der zwischen Wand, Decke und Bögen aufgespannten Spandrillen sind durchbrochen und mit großem Vierpaß-, Dreipaß-, Dreiblatt- und Fisch- blasen-Maßwerk gefüllt. Die die Spandrillen etwa auf Schulter- höhe tragenden Konsolen sind mit fleischigen Laubornamenten skulptiert, zwei von ihnen zusätzlich mit kleinen Büsten. Die Zier des Ganzen aber bildet der sorgfältig skulptierte und farbig gefaßte Schlußstein des mittleren Joches, der das von Blattwerk umrankte und mit einem Kreuz- nimbus versehene Antlitz Christi als Weltenrichter darstellt – als Zeu- gen für das in der Laube stattfindende weltliche Gericht. In der Ausfüh- rung dieser Deckenkonstruktion lassen sich mutmaßliche Einflüsse der Prager Parler-Schule finden, genauso wie in der Göttinger Jacobikirche, vor allem aber bei St. Cyriakus zu Duderstadt im benachbarten Eichs- feld, deren Neubau 1394 begonnen wurde.

          Das Südportal des Alten Rathauses, das sich wie das Nordportal unmittelbar in den Großen Saal hinein öffnet, ist schmaler und niedriger als das nördliche Gegenstück, aber es ist nicht nur durch die vorge- baute Laube hervorgehoben, sondern zeichnet sich darüber hinaus durch ein reicher profiliertes Gewände aus. Es besteht aus Birnstäben, die sich – ohne Kapitellzone – im Bogenbereich als Archivolten fortset- zen. Schmuckstück des Südportals aber ist der bronzene Türzieher in der Form eines Löwenkopfes, gefertigt etwa um das Jahr 1300. Das runde, fast kugelförmige Gesicht des Löwen nimmt menschliche Züge an und erinnert an ein Fabelwesen, das den Besucher umso durchdrin- gender zu mustern scheint, je unwillkommener dieser mutmaßlich ist. Der kreisflächige, durchbrochene Rahmen des Türziehers ist reliefartig mit vier feuerspeienden Drachen skulptiert, zwischen denen die Wap- pen der Herzöge von Braunschweig und der Landgrafen zu Hessen zu sehen sind sowie zwei Topfhelme mit ganz schmalen Sehschlitzen in dem vorne spitz zulaufenden Visier und eindrucks- vollem, wie an nach innen gebogenen Hörnern aufgezogenem Phantasie-Kopfschmuck.

 

 

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