X. Der Wohnraum (Teil 3: Einrichtung)
Wir haben es bei diesem riesigen Wohnzimmer also mit einem auf den ersten Blick einfachen und übersichtlich angeordneten, in Wahrheit jedoch sehr komplexen, vielschichtig gestalteten Raum zu tun, den ein jeder Besucher auf seinen ganz eigenen Wegen erforschen kann.
Da sind zum Beispiel die riesigen, unregelmäßig begrenzten und auch unebenen Steinplatten des Fußbodens, die uns schon in der Loggia begegnet sind und die sich genauso wieder auf die Terrassen hinaus fortsetzen. Im Innenraum sind sie lediglich gewachst, so daß sie einen durch die unebene Oberfläche etwas schlüpfrig anmutenden Glanz gewinnen. Und tatsächlich hat sie Wright denjenigen Felsplatten nachempfunden, über die der seichte Bach hinwegrinnt und deren Anblick wir durch die Öffnung der Bachtreppe vom Wohnzimmer aus unter der Wasseroberfläche erhaschen können. Eine weitere Idee steuerte Liliane Kaufmann, die Frau des Bauherrn, zum Gelingen des Gesamtkunstwerkes Fallingwater bei: sie fand die schweren rustikalen, aus der alpenländischen Tradition stammenden Bauernstühle für den Eßtisch, die auf diesem Boden einen einzigartigen Vorteil aufweisen: sie haben nur drei Beine und wackeln nicht!
Die Mauern aus Sandsteinplatten weisen im Innern, nicht nur im Wohnzimmer, sondern auch in den oben gelegenen Schlafzimmern, dieselbe Oberflächenstruktur wie außen auf. Wrights Absicht, die Unter- schiede zwischen Innen- und Außenraum, wie sie in Häusern gewöhn- licherweise deutlich bestehen, weitestgehend aufzuheben, spiegelt sich auch in der Verwendung der übrigen Baumaterialien wieder: die verputzten Betonteile (Decken, Brüstungen) im Innern sind genauso beige gefaßt wie außen; der rote Anstrich der Stahlrahmen von Fen- stern und Glastüren ist ebenfalls innen wie außen gleich.
Überall soll der Blick ungehindert von innen nach außen laufen: die Begrenzungen der Fenster an den unregelmäßigen Sandsteinwän- den sind im ganzen Haus rahmenlos. Statt dessen sind vertikale Ker- ben in die Wände geschnitten, in die die Scheiben, die an diesen Stellen selbst immer durch waagrechte Sprossen strukturiert sind, eingepaßt und verfugt sind. An den Ecken des südlichen Bezirks des Wohnraums, links und rechts der langen Sitzbank, treffen die Stahl- sprossen rechtwinklig aufeinander, und ebenso die Glasscheiben zwi- schen ihnen, da eine horizontale stählerne Eckschiene fehlt. Und der Fußboden der Terrassen liegt auf genau gleicher Höhe wie der des Wohnraums, beide gehen ineinander über, durch nur minimale, von den Stahlrahmen der Türen bedingte Schwellen voneinander getrennt.
Insgesamt hat sich Wright bei der Anzahl der verwendeten Mate- rialien sehr beschränkt. Dies verleiht der komplexen und asymmetri- schen Anlage des Hauses ein Element der Ruhe, das man mit dem schönen Ausdruck zen-like bezeichnen könnte und das mit den Gege- benheiten der natürlichen Umgebung harmoniert: auch hier finden wir unregelmäßige, vielfältig variierte Formen, die aber durch die Wieder- kehr immer gleicher Grundmaterialien gebändigt werden: Sandsteinter- rassen, Baumstämme, Blattwerk, Rhododendron, Berglorbeer und Wasser.
Ein Element, das im Innenraum hinzukommt und ebenfalls seine Entsprechung außerhalb hat, ist das Holz. Wright selbst hat den Großteil des Mobiliars von Fallingwater entworfen, bis hin zu den kleinen Schreibtischlämpchen. Die drei erwähnten großen Sitzbereiche im Wohnzimmer gruppieren sich jeweils um fest eingebaute Sitzbänke. Sie sind wie alle Holzelemente im Haus (Kleiderschränke, Zimmertüren im Obergeschoß, Eßtisch, Schreibtische, Kommoden, Bücherregale, etc.) einheitlich mit amerikanischem schwarzem Nußbaum furniert. Die breiten, mit dicken Latexschaumpolstern ausgestatteten Sitzbänke schweben - wie die Terrassen - dicht über dem Boden. Hinter ihnen sind, wie auch zum Beispiel auf der Rückseite von Schreibtischen, Heizkörper integriert (Fallingwater verfügt also nicht nur über die malerischen offenen Kamine in praktisch jedem Zimmer, sondern auch eine weniger romantische, dafür praktischer und effizienter nutzbare Ölzentralheizung). Vervollständigt werden die Sitzgruppen durch kleine- re und größere Nußbaumholztischchen und durch quadratische Hocker unterschiedlicher Höhe, deren Polster mit einfarbig gelben oder roten Textilien bezogen sind, genauso wie die beweglichen zusätzlichen Rückenpolster auf den ansonsten in schlichtem Beige gehaltenen Sitz- bänken.
Eine weitere Besonderheit dieses Wohnraumes ist das vollstän- dige Fehlen von Vorhängen. Die großen Fenster und Terrassentür- fronten bleiben bei Einbruch der Dunkelheit so schwarz wie die Nacht draußen. Die Verbindung des offenen südlichen Raumteiles mit der umgebenden Natur wird also auch jetzt nicht abgetrennt. Lediglich um die Lichtquellen im Raum herum kann nun so etwas wie ein heimeliger Bereich erzeugt werden, durch das Kaminfeuer etwa, das neben den rauhen Steinwänden, den scheinbar nassen Steinfliesen (vergleichbar denjenigen der Terrassen, wenn es gerade geregnet hat), dem unun- terbrochenen Rauschen des Wasserfalles und der allgegenwärtigen Nachtschwärze etwas von der Stimmung eines Lagerfeuers bekommt.
Aber wie die versteckte Ölheizung die sichtbaren Holzscheite bei der Wärmeerzeugung unterstützt, so verhelfen elektrische Lampen zu mehr Licht. Auch sie sind fast immer verdeckt angebracht, es gibt keine Stehlampen und keine Kronleuchter. Wir haben schon die hinter Leinwandsegeln im Atrium angebrachten Lampen erwähnt. Wright verwendet hier, um den Stoff nicht zu versengen, die in den dreißiger Jahren für private Haushalte erstmals verfügbaren Leuchtstoffröhren. Die Kälte ihres Lichtes wird durch die Reflexion an der in warmem Ton gestrichenen Decke abgemildert. Leuchtstoffröhren befinden sich auch verdeckt hinter den Sitzbänken und entlang der oberen Kanten der Fensterrahmen. Ihr Licht wird sowohl von der Zimmerdecke als auch von den Unterseiten der äußeren Dachüberstände reflektiert, was wiederum den fließenden optischen Übergang nach draußen herausarbeitet. Spezielle Punkte im Wohnraum, die nach mehr Licht verlangen, werden durch in die Decke versenkte Strahler bedient (Eßtisch, Schreibtisch).
Angesichts der Größe des Wohnzimmers reichen die installierten Lampen sicherlich nicht zu einer Festbeleuchtung. Aber das wäre dem Charakter des Raumes, seiner beabsichtigten Integration selbst noch in die nächtliche Natur auch nicht angemessen gewesen. Auch auf Außenbeleuchtungen (Laternen am Zufahrtsweg, Strahler gegen das Haus oder vom Haus weg gerichtet) wird, bis auf die erwähnten fünfeckigen Lämpchen an den Innenseiten der Rahmen der Balken- gitter, völlig verzichtet. Das Haus soll von innen heraus leuchten wie ein Lampion: ein Kuriosum zwar für die Tierwelt ringsherum, aber doch demütig eingeordnet in dieses große Ganze, nicht überheblich ange- strahlt wie ein Denkmal menschlichen Triumphes.
Weiter mit dem nächsten Kapitel
|