Pisa © Roland Salz 2000 - 2015
Roland Salz                                                                      
                                                                      Meditationen über Architektur

III. Der Bach im Wald

 

Bear Run fällt in seinem etwa 6 km langen Lauf vom Laurel Hill bis zur Mündung in den Youghiogheny River um fast 500m ab, und sein in den dunkelgrauen Sandstein gegrabenes Bett ist von einer Vielzahl kleinerer Wasserfälle gekennzeichnet. Einen dieser Wasserfälle liebte die Familie Kaufmann besonders; auf breiter Front ergießt sich das Wasser hier über die Kante einer Felsbank, die ihrerseits einen starken Überhang aufweist. Das Wasser des Bergbaches fällt von der Kante aus etwa vier Meter tief hinunter, auf einer Breite von zwischen zwei und fünf Metern, je nach Wasserführung des Baches. Hohe Bäume, überwiegend Eichen, umstehen den Ort, aber in den Lichtungen zwischen den alten Bäumen findet sich Platz für niedrigeres und jüngeres Gehölz. Ohne Mühe schafft es auch die Sonne, den Weg zu den Felsbänken des Bachbettes zu finden und zu dem wilden Rhododendron und dem ebenfalls immergrünem Berglorbeer, der die Stelle des Wasserfalls umgibt.

          Während ihrer sommerlichen Aufenthalte auf dem Grundstück verbrachte die Familie, oft zusammen mit Gästen, immer viel Zeit an diesem Wasserfall. Hier konnte man baden und Spaß haben, oder einfach nur dem Tosen lauschen und das eindrucksvolle Spiel des bewegten Wassers beobachten. Einen guten Platz für die Betrachtung bot ein unterhalb des Falles gelegenes Felsplateau neben dem Bach; Edgar J. Kaufmann jedoch liebte noch mehr den Platz auf einem großen Felsbrocken oberhalb des Falles, von dem aus man auf das majestätische Schauspiel heruntersah.

          All dies wird man Frank Lloyd Wright bei dessen erstem Besuch des Ortes gegen Weihnachten 1934 erzählt haben. Und man äußerte den Wunsch, das neue Haus möge in der Nähe dieses Wasserfalles entstehen. Edgar Kaufmann hatte dabei wohl im Sinn, daß das Haus unterhalb des Falles liegen würde, auf jenen Blick gerichtet, den die Familie im Laufe vieler Jahre so liebgewonnen hatte.

          Nach der Abfahrt des Architekten begann bei der Familie Kaufmann ein gespanntes Warten. Aber obwohl Wright im Frühjahr 1935 den Ort erneut besuchte, sich also bereits intensiv gedanklich mit dem Projekt beschäftigt haben mußte, dauerte es neun Monate, bis er seinem Auftraggeber endlich einen Plan vorlegte. Erst auf massives Drängen Kaufmanns im Herbst 1935 und dessen Ankündigung, Wright in Taliesin aufzusuchen, um sich an Ort und Stelle über den Stand der Planungen zu unterrichten, begab sich Wright an den Zeichentisch und ließ seinen Ideen, die er offenbar schon seit langer Zeit im Kopf trug, auf dem Papier freien Lauf. Er hatte das Haus entworfen noch bevor Kaufmann, nur wenige Stunden nach seiner Ankündigung, in Taliesin eintraf. Wright überraschte Kaufmann mit einem Vorschlag, der eigentlich schon eine Entscheidung war: das Haus nicht vor oder neben, sondern über den Wasserfall zu setzen.

          Allen Beteiligten war klar, daß es sich um ein gewagtes Vorhaben handelte. Verankert auf einer Felsplatte neben dem oberen Bachlauf, sollte das Haus seine Terrassen aus Stahlbeton bis direkt über den Wasserfall spannen. Wright war entschlossen, bis an den Rand dessen zu gehen, was er vom Gesichtspunkt der Baustatik her wagen und verantworten konnte. Und Kaufmann war bereit, das Risiko zu tragen, das mit seinem Wunsch verbunden war, sich als Bauherr moderner und innovativer Architektur bekannt zu machen.

          Die Geschichte hat, wie wir wissen, beiden Recht gegeben. Aber man vergißt darüber nur zu leicht den Mut und die Anstrengungen, die ein solches Projekt gekostet haben. Man betrachte nur die Fotos, die die abenteuerliche Stützkonstruktion aus Holz zeigen, als die über den Bach ausladenden Terrassen gegossen wurden. Der Wasserfall toste während des Baus durch diese Konstruktion aus Balken und Latten hindurch, deren manche auf winzigen, glitschigen Vorsprüngen auf der selbst überhängenden Felsbank des Wasserfalls abgestützt waren. Und auch die Nerven der Verantwortlichen erreichten während der Bauzeit einen gefährlichen "Überhang": hatte Kaufmann den Architekten noch im Sommer 1935 angewiesen, die Baukosten auf 20 bis 30.000 Dollar zu begrenzen, so beliefen sich seine Rechnungen bis 1939 auf insgesamt 145.000 Dollar. Wright seinerseits ließ den Auftraggeber, mit dem er nun bereits seit Jahren auch persönlich befreundet war, in einem wütenden Brief vom August 1936 wissen, daß er sich eine Kritik an seinen Plänen verbitte, die darauf hinausliefe, er verstehe zu wenig oder nehme zu wenig Rücksicht darauf, was der Auftraggeber als derjenige, der in dem Haus schließlich leben sollte, eigentlich wollte und brauchte; solcherlei Kritik sei er als angesehener und erfahrener Architekt nicht gewohnt und auch in der Zukunft nicht bereit hinzunehmen und schließlich sei für Kaufmann noch Zeit, das Projekt einem anderen Architekten zu übertragen, der von solchen Wünschen mehr verstehe.

 

 

Weiter mit dem nächsten Kapitel

 

Die Seiten und ihre Inhalte sind urheberrechtlich geschützt! Copyright © Roland Salz 2000 - 2024

Version 21.1.2024

Impressum   Datenschutzerklärung