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                                          Meditationen über Topographie und Geschichte

Friedenskirche auf dem Hagenberg, Göttingen

Friedenskirche Göttingen Hagenberg

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III.2. Die Friedenskirche und ein Ort der Stille

 

Weder von der Kaiserpfalz Grona noch von dem einst unterhalb von ihr gelegenen Dorf Burggrona ist heute Sichtbares geblieben. Zwar hat man während ausgedehnter Grabungen in den sechziger Jahren die Fundamente der Pfalzgebäude freilegen können, was eine Rekonstruk- tion ihrer Anlage ermöglichte, doch sind diese Fundamente heute nicht mehr zu besichtigen, sei es, weil sie überwachsen sind, sei es aber auch, weil man sie planmäßig wieder mit Erde überdeckt hat.

          Angesichts seiner Höhe von etwa zwanzig Metern zählt der Hagenberg, der sich, von Norden nach Süden ausgerichtet, westlich der Leine und des Baches Grone aus den Leineauen erhebt, zu den eher kleineren Anhöhen. Fährt man etwa von Weende kommend auf dem Zubringer zur Autobahn A7, also im Osten bzw. Norden – und damit an seinem bewaldeten Steilhang – am Hagenberg vorbei, so muß man schon genau hinschauen, um die flache, langgezogene Erhebung, an dessen südlichem Sporn die Kaiserpfalz einstmals lag, überhaupt als solche wahrzunehmen. Die gesamte südwestliche, flach abfallende Seite des Hagenbergs ist heute mit kleinen, älteren, nach einheitlichem Muster entworfenen Eigenheimen bebaut. Und wenn die Autobahn den Hagenberg im Norden umrundet und abschneidet, so wird er im Westen und Osten von zwei ausgedehnten Industriegebieten begrenzt.

          Und doch kann man, wenn man ihn etwa an einem frühen Werk- tagnachmittag, in sengender Sommerhitze aufsucht, etwas von der be- sonderen Atmosphäre dieses Ortes spüren. Sicher, den Blick, wie er sich von hier oben einmal über das gesamte Leinetal erstreckt haben mag, kann man wegen der hohen Bäume, die den Osthang säumen, und wegen der Bebauung des Westhangs nur noch erahnen; und auch der Spaziergang im Pfalz-Grona-Park, am Ostrand des Berges ent- lang, wird in nicht geringem Maße von heraufdringendem Industrielärm untermalt. Und dennoch, dort, wo heute das Evangelische Studiensemi- nar liegt, in einer kleinen, grünen Oase, am Fuße des Turms der in den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts errichteten und dem Andenken der Pfalz gewidmeten Friedenskirche, erfaßt den Besucher bisweilen eine innere Ruhe, die ihn überrascht.

          Vielleicht leben ja doch die Geschehnisse, die sich auf der Pfalz zugetragen, im großen, repräsentativen Saalbau des Palatiums etwa, oder in der Pfalzkapelle St. Walpurgis, in dieser Stille des Ortes fort. Genau 1000 Jahre ist es her, daß Thietmar von Merseburg in seiner berühmten Chronik die zwei Jahre zuvor (1012) auf der Kaiserpfalz Grona von Heinrich II. vollzogene Einsetzung Walthards zum Bischof von Magdeburg niederschrieb, ein feierliches Ereignis, dem er persön- lich beigewohnt hatte, wie er berichtet:

    „Et ego iussus venire proficiscebar cum eo ac in sabbato Gronam sero venimus. Mox in presentiam regis venientes misericorditer suscipiebamur, et pauca locutus rex nos ad hospicium ire permisit. Castra metati enim tunc sumus extra urbem et iuxta lucum, ubi modo sancti est aecclesia Alexandri. Crastino fuit dominica dies et festivitas Christi martyris Viti; et ego valde mane missam confratribus meis cantavi et post hanc in urbem vocati ivimus usque ad caminatam regis. Et ibi solus intromittitur Walterdus et ibi usque ad terciam soli colloquebantur; et egressus tunc Walterdus anulum portat in manu sua et ostendens nobis: 'Ecce habetis', inquid, 'pignus subsecuturae pietatis!' Et tunc omnes nos in presentiam venientes, examinatione regis, ipso primitus eum laudante, predictum patrem elegimus, et optimi quique aspirabant; et mox a rege accepit baculum pastoralem. Post sacramentum regiae potestati exhibitum introductus est ad aecclesiam, quam ibi a rege constructam antecessor suus benedixit, et laus Domino a presentibus canitur.“

    (Thietmar von Merseburg, Chronik)

    „Am Samstagabend (14. Juni 1012) kamen wir (Thietmar, Walthard u.a.) (von Magdeburg) nach Grone. Wir suchten sofort den König (Heinrich II.) auf und wurden von ihm gnädig empfangen; nach einem kurzen Gespräch entließ er uns in unsere Unterkunft. Wir wohnten nämlich damals außerhalb der Burg neben dem Wald, wo jetzt (d.h. zur Abfassungszeit der Chronik ca. 1014) die Kirche des hl. Alexander steht. Der nächste Tag war ein Sonntag und das Fest des Märtyrers Veit. Sehr früh sang ich für meine Mitbrüder die Messe; danach wurden wir in die Burg gerufen und gingen bis zur Kemenate des Königs. Dort wurde nur Walthard vorgelassen, und dort verhandelten sie (Heinrich II. und Walthard) bis zur Terz (9 Uhr). Als Walthard herauskam, trug er an seiner Hand einen Ring und zeigte ihn uns mit den Worten: ‚Hier seht ihr das Unterpfand künftiger Huld!‘ Dann versammelten wir uns alle vor dem König und wählten, seinem Vorschlag folgend, den vorgenannten Geist- lichen (sc. zum Magdeburger Oberhirten). Alle Großen stimmten bei, und daraufhin erhielt Walthard vom König den Hirtenstab. Nachdem er der Majestät des Königs den Eid geleistet hatte, führte man ihn in die Kirche, der der König hatte erbauen lassen und die sein (sc. Walthards) Vorgänger geweiht hatte, und alle Anwesen- den sangen ein Tedeum.“

    (Übersetzung zitiert nach Thomas Zotz in Dietrich Denecke, „Göt- tingen. Geschichte einer Universitätsstadt“, Bd 1, Göttingen 1987, s.38)

Ein merkwürdiger Kontrast entsteht im Besucher, der sich dieses Er- eignis am Ort oben vorzustellen versucht hat, als er den Hagenberg verläßt, beim Gang hinunter nach Westen, dem Blick in die Abendson- ne, vorbei an den von bunten Gartenzwergen bestandenen Vorgärten mit ihren abgestochenen Rasenkanten, der selbstgezimmerten Garage und dem in guter Hoffnung befindlichen Obstbaum in der Mitte.

 

 

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