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                                          Meditationen über Topographie und Geschichte

St. Albani Göttingen

St Albanikirche Göttingen

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IV.2. Stadtgründung und Stadtanlage

 

Es wird angenommen, daß ein königlicher Wirtschaftshof in Gutingi, der wahrscheinlich schon deutlich vor dem 11. Jahrhundert gegründet wurde und demjenigen in Grone zugeordnet war, die Keimzelle für die Stadtwerdung Göttingens bildet. Zwar ist über einen solchen Königshof nichts Sicheres bekannt; man weiß aber, daß das Reich im 10. Jahrhundert mit Abstand größter Grundbesitzer in Gutingi war. Auch die Existenz einer Gutingischen „Bünde“ (damit wurde das zusammen- hängende Land eines Herrenhofes bezeichnet) deutet auf einen frühen Reichshof. Der Reichsbesitz in Gutingi zersplitterte sich aber mit der Zeit immer mehr, gelangte im Verlauf der Jahrhunderte in die ver- schiedensten Hände, und erst der Welfe Heinrich schaffte es, wieder einen Großteil des Grundeigentums im Bereich des Dorfes – als weit- gehend zusammenhängende Bodenfläche –, zentral in seine Hände zu bringen. Wahrscheinlich schon zu Zeiten Heinrichs entstand so in Gu- tingi ein großer welfischer Wirtschafts- und Verwaltungshof, hervorge- gangen vielleicht aus dem mutmaßlichen alten Königshof.

          Für den gesamten Zeitraum des 11. und 12. Jahrhunderts ist man in Bezug auf Gutingi weitgehend auf Spekulationen angewiesen, denn es existieren keinerlei Urkunden, die das Dorf betreffen. Erst mit dem Beginn des 13. Jahrhunderts setzten wieder schriftlich überlieferte Zeugnisse ein, doch zu diesem Zeitpunkt ist Göttingen bereits Stadt; die Stadtrechte dürften um 1210 erworben worden sein.

          Heinrich der Löwe ist als der Städtegründer schlechthin in die deutsche Geschichte eingegangen. Was also liegt näher, als ihn auch im Falle Göttingens als denjenigen zu vermuten, der zur Gründung von Markt und Stadt den entscheidenden Anstoß gab? Der Göttinger Raum lag an der südlichen Grenze des welfisch-sächsischen Machtbereichs, und es scheint natürlich, daß es in Heinrichs Interesse lag, diesen strategisch wichtigen Verkehrsknotenpunkt in seinem Sinne zu festigen und sowohl militärisch als auch wirtschaftlich möglichst weitgehend unter seine Kontrolle zu bringen. Durch die Verleihung von Marktrech- ten an eine Gemeinde aber konnte ein Landesherr die Kaufleute, die in großer Zahl regelmäßig an Gutingi vorbeizogen, für sich arbeiten lassen, denn durch die Steuern verdiente er bei ihren Geschäften im- mer mit. Und mit dem Verwaltungshof in Gutingi war ein Kristallisations- keim vorhanden, an den sich eine städtische Siedlung anlagern konnte.

          So profitierte der Standort Gutingi davon, daß hier die Interessen zweier wichtiger Kräfte zusammenfielen. Die Welfen hatten gerade in diesem Dorf der Grenzregion ihre stärkste grundherrliche Position (von den drei umliegenden, dereinst allesamt größeren Dörfern gehörte Grone weitgehend dem Reich, Geismar dem Erzstift Mainz und Weende dem Domstift Hildesheim), und für die reisenden Kaufleute bot der Ort an der Leinefurt, als Kreuzungspunkt eines in nord-südlicher und eines in ost-westlicher Richtung verlaufenden Handelsweges, ge- rade durch seine Lage an der Grenze zweier großer politischer Macht- bereiche (Sachsen und Hessen/Franken), als Umschlagplatz für den Warenverkehr zwischen Frankfurt und Lübeck, einen großen Anreiz zur dauernden Niederlassung und schließlich zur Seßhaftigkeit, zumal sie sich der planmäßigen Förderung ihres Gewerbes am Ort durch den welfischen Landesherrn sicher sein konnten.

          Mit den ersten überlieferten Urkunden aus dem 13. Jahrhundert dürfen wir Gutingi nun endlich Göttingen nennen; und doch war das neue Göttingen nicht identisch mit dem alten Gutingi. Das Alte Dorf, wie es noch Jahrhunderte hindurch genannt wurde, mit seiner bereits im 10. Jahrhundert gegründeten Pfarrkirche St. Albani im Herzen, befand sich noch jahrhundertelang außerhalb der Göttinger Stadtmauern.

          Die Marktsiedlung, der circulus, hatte sich nämlich unmittelbar nordwestlich des alten Dorfes gebildet, etwas weiter unterhalb, direkt in der Leineniederung. Dies hatte seinen entscheidenden Grund wahr- scheinlich darin, daß die Welfen nicht über den gesamten Besitz am Alten Dorf verfügten und es daher nicht in die Stadtgründung einbezie- hen konnten. Das Gelände weiter unterhalb, das sie offenbar geschlos- sen besaßen, hatte zudem den Vorteil, sich wesentlich leichter militä- risch befestigen zu lassen – eine für eine mittelalterliche Stadt unerläß- liche Voraussetzung –, war es doch im Gegensatz zu dem in leichter Hanglage gebauten Alten Dorf eben und ermöglichte die Anlage von Wassergräben, die einen elementaren Bestandteil einer Stadtbefesti- gung ausmachten. Als die im Laufe der Zeit immer reicher gewordene Stadt in späteren Jahrhunderten daranging, die Stadtgrenzen auszu- dehnen und auch das Alte Dorf in die Stadtbefestigung miteinzubezie- hen, mußten sieben Staustufen für die Wassergräben angelegt werden, um einen Höhenunterschied von dreizehn Metern auszugleichen. Der architektonische und bauliche Aufwand dafür läßt sich erahnen.

 

 

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