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                                          Meditationen über Topographie und Geschichte
Schleierbachtal Landkreis Göttingen

Landschaft in Südniedersachsen

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I.2. Märchenland

 

Durch den gesamten Göttinger Landkreis zieht sich, auf verschlunge- nen Wegen und kaum ein Dorf auslassend, auch durch die Stadt selbst führend, um den Brüdern Grimm Referenz zu erweisen, die an der alten Universität wirkten, die Deutsche Märchenstraße. Und märchenhaft kann man die Landschaft „hinter den Bergen", auf beiden Seiten des Leinetals, wirklich nennen. Verwunschen sind nicht nur die Urwälder im Reinhardswald und im Solling, seit geraumer Zeit ganz sich selbst überlassen, mit ihren hundert Jahre alten Bäumen und den riesigen am Boden verfaulenden Stämmen. Die Landschaften, deren Wechsel aus Laubwäldern, Feldern und Wiesen, aus kleinen Tälern und sanften Hügel wirklich nicht anders denn als „anmutig“ bezeichnet werden kann, sind noch immer so dünn besiedelt wie das Leinetal selbst. Fast men- schenleere Täler und Hochebenen kann man hier durchstreifen, und dann fällt einem unweigerlich jene Stelle aus irgendeinem Märchen ein, die man sich früher nie wirklich bildhaft vorstellen konnte, wo es da heißt: „Und nach drei Tagen kamen sie in einen großen Wald“. Und wenn jene einsamen Wanderer nach Tagen und Nächten des Umher- irrens endlich wieder Zeichen menschlicher Besiedlung entdeckt haben, dann stehen sie vermutlich vor einem kleinen Dorf, in dem fröhlich die Kamine der um die Kirche herumgruppierten, rotgedeckten Dächer in der kalten Morgensonne rauchen, und das – inmitten einer großen, kreisförmigen Lichtung gelegen – den Namen Holzerode trägt.

          In diesen Dörfern, die unvermittelt hinter einer Biegung des Weges oder einer Hügelkuppe auftauchen, mit ihren winkligen Fach- werkhäusern und den immer anderen Kirchtürmen, so vielfältig variiert wie die Namen der Dörfer selbst – Gelliehausen und Benniehausen, Elliehausen und Ellierode, Eddigehausen und Elbickerode, Bishausen, Bilshausen oder Bischhausen, Groß Ellershausen oder Klein Wiers- hausen –, scheint die Zeit stehengeblieben zu sein seit Wilhelm Busch in der Mühle zu Ebergötzen seine Kindheit verbrachte und, zusammen mit seinem Freunde, die Nachbarn und Mitmenschen, mochten sie übelgesonnen oder aber ganz gutmütig sein, gleichermaßen mit bösen Streichen überzog. Nolte, Kruse, Henze und Bolle heißen die Men- schen hier auch heute noch, diesen Namen begegnet der Wanderer unserer Tage genauso unweigerlich wie es einstmals Max und Moritz geschah.

 

 

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