Pisa © Roland Salz 2000 - 2015
Roland Salz                                                                      
                                            Meditationen über Architektur und Landschaft

I. Pestkapelle, Topologie Ellmau, Anblick Kaiser

 

Zwischen Scheffau und Ellmau, unmittelbar an der Bundesstraße, die, von Wörgl aus dem Inntal kommend, herauf nach St.Johann, dann weiter durchs Leukental Richtung Salzburg, über Fieberbrunn nach Saalfelden und zum Zeller See, oder über Kitzbühl, den Paß Thurn und Mittersil zum Felbertauerntunnel führt und daher stark befahren ist, steht, auf freiem Feld, vor der weiten, eindrucksvollen Kulisse des Wilden Kaisers, unter einem einsamen Vogelbeerbaum, leicht zu übersehen zwischen den vorbeibrausenden Autos, den Verkehrsschildern und einer orangefarbenen Landmessermarke, eine kleine Kapelle. Ein schlichter, quaderförmiger Baukörper, geweißelt, fensterlos, mit holzschindelgedecktem Satteldach. In der Vorderseite (nach Süden, zur Straße hin) eine große Nische mit geringer Tiefe, in Form einer rundbogigen Türlaibung. Hinter der oberen Hälfte dieser Eingangsnische, von einem schweren, dichtgeknüpften und verrosteten Eisengitter fast bis zur Unerkennbarkeit verdeckt, der eigentliche Kapellenraum. Auch er als flache, rundbogige Nische. Darin ein einziges Gemälde, das, in geradezu naiver Weise gemalt, die Jungfrau Maria zeigt, schwebend über dem Wilden Kaiser und einem Dorf, in dem wir die Pfarrkirche von Ellmau erkennen. Zwei Engel breiten den Mantel Mariens aus, so daß er zum Schutz wird für das Dörfchen, seine Bewohner, seine Tiere, seine Häuser und die Kirche. Unter dem Bild - gegen die Witterung ist es mit einer, an den Ecken allerdings schon abgerissenen, Plastikfolie überzogen - die Inschrift: "Diese Kapelle errichteten in Dankbarkeit die Verschonten der Pest. 1630."

          Hier, vom Ellmauer Sattel aus, habe ich die Gebirgskette des Wilden Kaisers, aus der ihr angemessenen Entfernung, in fast seiner gesamten Länge im Blick. Endlos weit erstrecken sich zuerst die abfallenden Wiesen, bevor sie in den genauso endlos ansteigenden Fichtenwälder auf den Vorbergen des Kaisers Platz machen: der Biedringer Platte, dem Grünberg, dem Scheibelberg oder dem Hüttlingberg. Almen gibt es unterhalb des Kaisers keine, und so geht das Fichten- und Latschengrün, an den schroffen Steigungen des eigentlichen Gebirges, sich immer weiter ausfransend zwischen den bedrohlichen Karen, den zerklüfteten Rinnen und Nischen, in das Hellgrau des Wettersteinkalks über, der sich jetzt fast senkrecht in die Höhe türmt. Dutzende, ja hunderte von Spitzen und Zacken bildet sein Kamm, gleißend in der Sonne jetzt gegen den hellblauen Mittagshimmel. Doch einige Partien liegen auch im Schatten, denn wie immer haben sich ein paar Kaiserwolken eingefunden, Kaiserwölkchen sind es heute eher, und trotz des Windes bleiben sie immer an derselben Stelle stehen, wie ein Heiligenschein über einem bekrönten Haupt.

          Im Nordosten bricht der Höhenzug abrupt ab, die Vorberge verlaufen sich, und der Blick wird weit. Die Wiesen erstrecken sich bis fast zum Horizont, bis fast dorthin, wo sich das Gelände hinter einem ganz flachen Waldstreifen absenkt und man das Großachental vermuten kann. Hinter ihm jedoch ragen, harmlos aus dieser Entfernung, zwei andere Gebirgszüge auf, wie Spiralnebel, wie fremde, entlegene Sonnensysteme: die Loferer Steinberge mit ihrer markanten Pyramidenspitze, von hier aus genau hinter dem Mödlingerhof mit dem markanten Doppelsilo, und weiter rechts die monolithischen Leoganger Steinberge.

          Noch weiter rechts, jetzt schon in südöstlicher Richtung, trifft mein Blick endlich wieder auf Näheres, die Ausläufer der Kitzbüheler Alpen auf andere Seite des Tals, die auch Grasberge heißen, im Gegensatz zu den Steinbergen. Hinter einem bewaldeten Rücken, auf dessen Haupt, inmitten einer kleinen Alm, ein Berghof genau von der Kammlinie aus zum Kaiser hinüberschaut, erhebt sich, viel weiter weg, jenseits der Großache, die hier Kitzbüheler Ache heißt, das Horn; das Kitzbüheler Horn meine ich natürlich, mit seinem riesigen rotweißen Sendemasten auf der Spitze.

 Langsam gehe ich, schlendere eher, den Fußweg neben der Bundesstraße entlang, unter der Alleebaumreihe auf der der Kapelle gegenüberliegenden Straßenseite, in Richtung Ellmau. Und dann taucht sie auch schon auf, die Kirche, zwischen den gelben Feldern steinharter, jahrzehntealter Flechten auf den Rinden der wettererprobten Alleebäume. Die geschweiften Turmgiebel unter dem hohen, spitzen, tannengrünen Helm; und der ebenfalls geschweifte Giebel der Westfassade. Zwischen Wiesen, einer Scheune und ein paar Bäumen hebt sie sich empor, locker umgeben von einigen Tirolerhäusern. Auf dem zur Hälfte abgemähten Hügel hinter ihr, der wie ein Vorsprung aus dem dichten, weit in die Höhe steigenden Fichtenwald herausragt, die Maria-Heimsuchungs-Kapelle, klein wie ein Spielzeug: das Satteldach, der kleine Turm mit dem Zwiebelhelm, der Windfang aus Holz vor der Eingangstür.

 

 

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