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Roland Salz                                                                      
                                                    Meditationen über Kunst und Landschaft

Der grüne Weingarten

Vincent van Gogh, 1888

Van Gogh Der grüne Weinberg

VI. Herbst

 

VI.1. Der Weingarten

 

Vincent hat schon im Juni, auf seinen Erkundungen der Crau, Weingärten entdeckt. Einerseits fand er sie am Fuße des Hügels, auf dem die Ruine des Klosters Montmajour steht, andererseits nahe der Ortschaft Fontvieille, ein Stück weit nordöstlich davon. Hier, an einer Stelle etwas unterhalb jener Windmühle, die durch Alphonse Daudets Erzählungen Lettres de mon moulin weltberühmt geworden ist, fertigt er im Juli eine Rohrfederzeichnung an, von Rebstöcken auf sandigem Boden, und aquarelliert sie anschließend. Schon um diese Zeit gedenkt van Gogh, so geht aus seinen Briefen deutlich hervor, sich mit den Weinbergen noch intensiver auseinanderzusetzen. Aber dieses Projekt muß bis zum Herbst warten, bis die Weinstöcke ihre ganze Farbenpracht entfalten und – während der Zeit der Lese – ihren Reiz als von arbeitenden Menschen belebtes Sujet. Der Maler weiß, daß er für dieses Motiv, das für ihn die ganze Farbenpracht des Herbstes verkörpert, all seine koloristischen Fähigkeiten der Naturdarstellung wird einsetzen müssen.

          Nun, im September, nähert sich die Arbeit in den Weingärten unterhalb von Montmajour ihrem Höhepunkt. An einem nicht zu sehr vom Mistral gepeinigten Sonnentag packt Vincent wieder eine große Leinwand vom „Format zu 30“ ein (72 x 92 cm) und diesmal außerdem noch mehr Farbtuben als sonst schon üblich. Dies alles stellt er am Rand eines Weingartens auf, der sich, in der flachen Ebene liegend, fast bis zum Horizont zu erstrecken scheint. Dort wo der Maler steht, kommt der graubraune Sandboden des Gartens zutage, und er wird die Basis des Grünen Weingartens bilden. Vincent plaziert den Horizont so, daß der Weingarten zwei Drittel und der Himmel ein Drittel des Bildes einnehmen. Die hintere Begrenzung des Weingartens ist fast waagrecht; nur an den Bildrändern krümmt sie sich ganz leicht nach unten, so daß Raum für Hintergrund geschaffen wird: von links her laufen blaugrüne Weidenbäume in die Tiefe der Bildmitte hinein, auf der rechten Seite scheinen zwei kleine, einstöckige Kelterhäuschen vor dem Horizont in der Sonne, mit ihren hellbraunen Kalksteinwänden und roten Satteldächern.

          Über dem Sandboden erheben sich die Rebstöcke als ein wahres Knäuel von Formen und Farben. Die Stämme und Äste des Weines sind durch das immer erneute Beschneiden noch mehr verformt als der Maler dies schon bei den Obstbäumen im Frühling hatte beobachten können. Wie skurrile Baumwurzelmännchen verwinden sie ihre Glieder, die alten, braunen Stämme und die jungen, rotbraunen Triebe. Nach unten statt nach oben scheinen letztere wachsen zu wollen, vor der Sonne sich duckend wie die Weinbauern, die hier und da zwischen den Zeilen des Weingartens mit ihren bunten Hüten zu erkennen sind, und um die fast reifen Trauben zu schützen, sie behutsam zu ummanteln und vor dem Austrocknen zu bewahren. In dunklem Blauviolett schimmern diese Trauben schon hervor, zwischen den dunkelgrünen Weinblättern, die sich auf der Oberseite der Rebstöcke bereits orange und goldgelb zu färben beginnen.

          Durch das nicht sehr hoch aufragende Gewirr der Ranken schreiten, etwas weiter hinten, vereinzelte Damen mit roten Sonnenschirmen. Was diese hier im Weingarten tun, bleibt unklar, denn zur Arbeit an den Rebstöcken braucht man bestimmt beide Hände. Mag sein, daß van Gogh dieses Motiv, das in seinen Arleser Bildern immer wieder auftaucht, weniger dem realen Landleben der Provence, als vielmehr den japanischen Farbholzschnitten entnommen hat.

          Die Stämme und Triebe der Weinstöcke mit ihren verwundenen Linien, die eher flächigen Blätter und die voluminösen Trauben machen es dem Maler unmöglich, hier sein bewährtes Strichelverfahren in der Pinselführung anzuwenden. Statt dessen scheint er über weite Strecken des Bildes die Farben zuerst großflächig auf die Leinwand aufgetragen und sie dann in einem zweiten Arbeitsgang mit dem Pinsel in die Form gebracht zu haben. Mit Form sind dabei die beiden Dimensionen der Bildfläche gemeint und darüber hinaus die dritte, räumliche Dimension: die Pastosität dieses Gemäldes stellt alles bisher Dagewesene in den Schatten.

          Intuitiv hat der Maler den neuen, flächigeren und die Malrichtung ständig wechselnden Duktus, den er der genauen Betrachtung der Weinstöcke entnommen hat, auch auf die Darstellung des Himmels übertragen. Die ganze Tonwertskala von Blau bietet er dabei auf, vom reinen Weiß bis zum reinen Schwarz; zusätzlich diffundiert das Grün des endlos weiten Weingartens in die unteren Partien des Himmels hinein. Einige der Farbwerte, insbesondere beim Schwarz ist das gut zu erkennen, tauchen fast nur an den Rändern der eigentlichen, kurz und breit ausgeführten Pinselstriche auf, als schmale Farbschlieren oder gar nur getrocknete Farbgrate. Auch damit wird deutlich, daß der Maler die Farben zuerst aufgetragen und anschließend mit dem Pinsel in alle Richtungen durchpflügt haben muß. So verworren und überreif, wie die Weinstöcke im Vordergrund wirken, so unruhig präsentiert sich ein Himmel, der im Bild geradezu ein Eigenleben zu führen beginnt.

 

Sechs Wochen später ist der Herbst da und die Weinernte in vollem Gange. Ende Oktober ist Gauguin endlich in Arles eingetroffen, wenn auch eher lustlos. Van Gogh will ihm entgegenkommen, und er übernimmt vorübergehend, um die Autorität des von ihm geachteten Malerkollegen zu unterstreichen, viel von der Malweise seines Freundes. Er wählt die Bildausschnitte anders, komplizierter als sonst, trägt die Farben jetzt dünn auf eine grobe Leinwand auf und umgibt alle Bildelemente mit dicken, schwarzen, cloisonistischen Konturen.

          Im November 1888 erleben beide Maler gemeinsam ein unerwartetes Naturschauspiel, als die untergehende Sonne kurz nach einem Regen die Weingärten in leuchtendes Rot taucht. In einer Art von Wettstreit versuchen beide, das Erlebnis in einem Gemälde festzuhalten. Obwohl Vincent in seinem Bild schon wieder zu der eigenen Malweise zurückzufinden beginnt – neben dünnen, flächigen Farbschichten gibt es wieder einzelne sehr pastos gestaltete Partien –, fällt das Werk, Der rote Weingarten genannt, doch gegenüber seinem zuvor geschaffenen Pendant deutlich ab. Die Flächigkeit in der Darstellung der Winzer und der Bäume im Hintergrund sowie die starken, schwarzen Konturen, vor allem aber das Malen aus der Phantasie, zu Hause im Atelier, anstatt an Ort und Stelle des ländlichen Geschehens, sind Charakteristika seines Freundes, ihm jedoch fremd.

 

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Der rote Weingarten

Vincent van Gogh, 1888

Van Gogh Der rote Weinberg

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