III.2. Bauerngehöft mit Strohschobern
Kurz nach dem Blick in die Ebene La Crau malt van Gogh, ebenfalls noch im Juni 1888 und in demselben großen Querformat, das Bauern- gehöft mit Strohschobern. Obwohl auch dieses Bild eigenständig kon- zipiert ist, kann er es sich später als Pendant zu Die Ernte vorstellen.
Den ganzen Monat über hat der Maler, erstaunt über ihre frühe Reife und fasziniert von der Vielfalt leuchtender, erregender Farbtöne, mit der sie die Landschaft überziehen, goldgelbe Getreidefelder gemalt, kurz vor oder während des Schnittes. Wieder hat er ein Motiv gefunden, bei dessen ständiger Wiederholung und Abwandlung er sich ganz auf die Darstellungsweise und deren kontinuierliche Weiterentwicklung konzentrieren kann. Das Motiv ist im Grunde so einfach, daß auch das Augenmerk des Betrachters, der die ganze Reihe dieser Bilder vor sich hat, beinahe von selbst auf die Unterschiede gelenkt wird, die sich gerade im Wie ihrer malerischen Gestaltung zeigen.
Thematisierte Die Ernte die Arbeit auf den Feldern, inmitten der offenen Landschaft, entfernt von den Gehöften, die selbst nur als kleine, bunte Würfel im Hintergrund sichtbar sind, so zeigt das Bauern- gehöft mit Strohschobern die nahe, häusliche Umgebung, in der jetzt das Geerntete versammelt ist. Aber wieder sind es nicht die Häuser oder ihre Bewohner, die im Mittelpunkt des malerischen Interesses stehen, sondern die eingefahrene Ernte selbst, die die Farben der Felder jetzt in die unmittelbare Nähe der menschlichen Anwesen ge- bracht hat. Drei riesige, in Glockenform aufgetürmte und wie die Spitzen eines Dreiecks angeordneten Strohschober sind die Protago- nisten des Bildes; einer von ihnen wird dabei von einem anderen beinahe völlig verdeckt, so daß eigentlich nur zwei der Heuhaufen richtig zu erkennen sind.
Leitern, die noch an den rechten Schober gelehnt sind, künden von dem noch nicht lange vollendeten Werk, aber von den ausführen- den Bauern oder Tagelöhnern ist nichts zu sehen. Einerseits gibt es also nichts, was den drei Schobern die Schau stehlen, was von ihrer Rolle als Mittelpunkt des Bildes ablenken könnte; andererseits ist ihre Gestalt so einfach und klar, so übersichtlich und einprägsam, daß die Aufmerksamkeit des Betrachters sehr bald von anderen, vermeintlich nebensächlichen Aspekten gefangen genommen wird: der Textur des Strohs etwa, dem Boden rings um die Schober, der komplizierten und dramatischen Topographie des Bildes, den verschiedenen häuslichen Anwesen oder dem Himmel.
Auffällig ist der Höhenunterschied des Geländes, der sich zwischen den steinernen Wohnhäusern ganz links oben im Bild und dem Schuppen sowie dem niedrigen Steinbau daneben ergibt, die in der oberen Bildmitte zwischen den beiden vordergründigen Schobern eingeklemmt zu erkennen sind. Zwischen beiden muß es einen Abhang geben, der allerdings durch den großen, vorderen Schober verdeckt wird. Vom linken Bildrand her führt zu den Haupthäusern ein ge- pflasterter Fahrweg empor, auf dem eine Frauengestalt im blaßgrünen Kleid und mit einem Korb in der Hand herunter- und auf den Betrachter zukommt. Allerdings ist sie noch so weit entfernt, jenseits der drei Schober, daß nähere Einzelheiten, etwa ein Gesichtsausdruck, nicht zu erkennen sind. Die Zufahrt zu den Schuppen dagegen bleibt unklar, da weder im Vordergrund der Schober noch hinter ihnen irgendein Fahrweg zu erkennen ist. Die Haupthäuser links oben ragen mit ihren ockerfarbenen Steinfassaden, den roten Dächern und den laubfrosch- grünen Klappläden breit und stattlich in die Höhe, von einer vorgela- gerten Pergola geschmückt, während die Nebengebäude flach unter- halb des Abhanges kauern, der Holzschuppen mit einem großen Tor im Giebel und in derselben, unauffällig violetten Farbe wie der niedrige Zaun, der die Strohschober von dem dahinterliegenden Obstgarten abtrennt. Vielleicht gibt es gar keine Zufahrt zu diesen Behausungen; vielleicht ist der einzige Zugang zu ihnen ein Törchen im Zaun, das man vor dem Schuppen zu erkennen meint.
Jetzt wird plötzlich klar, wie das Bild zwei Welten darstellt, die der vordere Strohschober voneinander abteilt: das stattliche, sonnendurch- flutete, frei daliegende Anwesen links oben, mit der freundlich geklei- deten, eher müßig daherschlendernden Frauengestalt auf der einen, und das Leben harter Arbeit unterhalb des Abhanges, mit den niedri- gen Hütten, den langen Leitern, den Zäunen und Obstgärten auf der anderen Seite. Selbst der Himmel über beiden Bildteilen ist grund- verschieden: während er über dem Anwesen heiter ist, in texturlosen Blautönen changierend, ist er über den Schobern und der ganzen rechten Bildseite von dramatischen, pastosen, in alle Richtungen gehenden Pinselstrichen zerfurcht, die von reinem Weiß bis zu Laub- grün und Schwarzviolett reichen.
Aber wenn die Strohschober diese beiden Welten voneinander scheiden, so verbinden sie sie gleichzeitig auch: in ihrem Vordergrund ist ein breiter, U-förmiger Streifen Boden zu sehen, der, obwohl nicht in der Art eines angelegten Weges, von einer zur anderen führt. Dieser brachlandähnliche, vor den drei Strohschobern gelegene Grund nimmt die größte Fläche des Bildes in Anspruch, mehr noch als die Strohschober selbst, und scheint, je mehr man ihn betrachtet, auch zum eigentlich wichtigsten Bildgegenstand zu werden.
Was van Gogh in diesem Vordergrund darstellt, ist banal: den Rand einer abgemähten Wiese, die von der Zufahrt des Gehöftes abfällt und auf deren Abhang die Schober gepflanzt sind; um die Schober rings herumliegende, plattgetretene Strohreste; rechts unten in der Ecke stehengebliebene, dunkelgrüne Unkrautpflanzen; links vorne ein herausragender Felsbrocken, umsäumt von trockenem Gestrüpp. Das Wie allerdings ist faszinierend: ganz in der Fläche etwa verbleibt der helle Kalksteinbrocken, nicht perspektivisch, sondern durch bloße schematische Rechteckformen gezeichnet, die wie kristalline, unter einem Mikroskop betrachtete Ablagerungen erscheinen; an ihren Ränder haben sich urzeitliche Fossilien festgesetzt, deren dunkelrote, geschwungene, in die goldgelbe Farbe des umherliegenden Strohs ausgreifende Tentakel von einstigem Tiefseeleben zu künden scheinen.
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